SVP Sektion Müntschemier

Vernehmlassung

Reform der dezentralen kantonalen Verwaltung / Justizreform

09.09.2005

Bedenken zu Kosten/Nutzen Verhältnis

Justiz-, Gemeinde- und
Kirchendirektion des Kantons Bern
Münstergasse 2
3011 Bern



Bern, 9. September 2005



Reform der dezentralen kantonalen Verwaltung / Justizreform


Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Sehr geehrte Damen und Herren

Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, uns zu den geplanten Änderungen der Kantonsverfassung und der Gesetzgebung in Zusammenhang mit der dezentralen kantonalen Verwaltung und der Justizreform zu äussern.

Im Vortrag des Regierungsrats wird die \“Leidensgeschichte\“ des Geschäfts dezentrale Verwaltung ausführlich dargelegt. Die nun vorliegenden Unterlagen zeigen, dass die von der SVP von Anfang an geäusserten Bedenken bezüglich Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr als nur berechtigt waren. Die Vorlage beweist, dass es unsinnig ist, im Bereich der dezentralen kantonalen Verwaltung eine Grossbaustelle einzurichten und alles – von der Organisation der Regierungsstatthalterämter bis hin zur Umnutzung der kantonseigenen Bauten und zu Neubauten mit einem Investitionsvolumen von offenbar ca. Fr. 50 Mio. – zu ändern. Unter diesen Vorzeichen ist eine Neuorganisation der Bezirksverwaltungen weder strategisch wichtig noch hat sie einen Einfluss auf die Wirtschaftskraft des Kantons. Sie trägt auch nicht zur nachhaltigen Sanierung des Finanzhaushaltes und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit dar. Die SVP unterstützt Reformen, aber nur wenn sie sinnvoll sind und den Kanton Bern wirtschaftlich weiter bringen. Es wäre sinnvoll, wenn der Kanton seine personellen und finanziellen Ressourcen für zweckdienlichere Projekte als die Reform der dezentralen Verwaltung einsetzen würde.
Nach der Lektüre der Vernehmlassungsunterlagen ist nicht klar, ob eine zusätzliche Verwaltungsebene geschaffen wird. Wie wird die Verwaltungsregion/der Verwaltungskreis organisiert, welche Funktionen haben die Stufen, in Art. 93 Abs. 5 ist noch von Amtsbezirken die Sprache, obwohl man diese ja abschaffen will.

Zu den einzelnen Fragen an die Vernehmlassenden:

1. Wir stellen fest, dass sowohl bei den Verwaltungsregionen als auch bei den Verwaltungskreisen ein massives Ungleichgewicht bezüglich Einwohnerzahlen besteht. Offensichtlich soll der Kanton einzig noch nach den Gesichtspunkten Distanzen und Verkehrswege eingeteilt werden. Dies führt dazu, dass ein Verwaltungskreis mit lediglich 16’000 Einwohnern entstehen soll, während der grösste Verwaltungskreis über 300’000 Einwohner zählt. Damit werden einzelne Landesteile ganz klar privilegiert. Die Grösse des Verwaltungskreises Mittelland-Nord sowie auch des Verwaltungskreises Seeland führt dazu, dass die vorhandenen Räumlichkeiten nicht mehr ausreichen und Neubauten erforderlich werden. Wie wir bereits in der Vernehmlassung zur Bildung der Verwaltungsregionen und Verwaltungskreise gefordert haben, verlangen wir, dass die Verwaltungskreise Seeland sowie Mittelland-Nord noch einmal aufgeteilt werden; der Verwaltungskreis Seeland in einen Verwaltungskreis bestehend aus der Stadt Biel und einem Teil ihrer Agglomeration und in einen Kreis, der das restliche Seeland umfasst und die Verwaltungsregion Mittelland-Nord in einen Verwaltungskreis, der die Stadt Bern umfasst sowie in einen Verwaltungskreis, der die anderen Gemeinden der Region umfasst.
Damit wären insgesamt 12 Verwaltungskreise neu zu schaffen, was angesichts des Stimmenverhältnisses im Grossen Rat bei der Abstimmung über die Zahl der Verwaltungskreise sicher vertretbar wäre.

2. In der Verwaltungsregion Seeland sind einzig Biel und Leubringen wirklich zweisprachig. Wenn nun wie verlangt die Verwaltungsregion Seeland in zwei Verwaltungskreise aufgeteilt wird (unsere Antwort zu Frage 1), ist konsequenterweise auch nur der Verwaltungskreis Biel als zweisprachig zu bezeichnen. Der andere Verwaltungskreis ist deutschsprachig.

3. Grundsätzlich sind wir mit der Festlegung der Aufgaben der Verwaltungsregionen einverstanden. Wir weisen aber darauf hin, dass im Rahmen der Neuzuteilung der Aufgaben der bisherigen dezentralen Verwaltung auch Aufgaben auf die Zentralverwaltung und die Gemeinden verschoben werden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Aufgabenverschiebungen in der Zentralverwaltung zu Stellenschaffungen führen werden. Darüber ist im Vortrag nirgends eine Aussage enthalten. Wir erwarten, dass sich die Regierung zu dieser Frage äussert und die zusätzlichen, in der Zentralverwaltung entstehenden Kosten ausweist.

4. Hier haben wir die gleiche Bemerkung wie zu Frage 3. Im Übrigen sind wir mit der Aufgabenzuweisung einverstanden (vorbehalten bleibt unsere Bemerkung zu Art. 37 GGG).

5. Die Zentralisierung des Handelsregisterwesens hat sich in anderen Kantonen bewährt. Wir können uns deshalb damit einverstanden erklären. Allerdings bezweifeln wir, ob dadurch ein Spareffekt entsteht. Der Standort Fraubrunnen scheint uns für das Handelsregisteramt ideal.

6. Der Grosse Rat hat durch Planungserklärung verlangt, dass für die Unterbringung der dezentralen kantonalen Verwaltung keine Bauten erstellt werden sollen (Seite 31 des Vortrags). Offensichtlich wird diese Planungserklärung mit der uns unterbreiteten Vorlage nicht erfüllt. Wir verlangen, dass der Planungserklärung des Grossen Rates Folge gegeben wird und dass auf die Erstellung oder Anmietung von Neubauten grundsätzlich verzichtet wird. Statt Schlösser und Amtshäuser leer stehen zu lassen und zu versuchen, diese, zum Teil erst kürzlich mit grossem Aufwand umgebauten, Kulturgüter zu verkaufen, sind diese Bauten weiterhin für die Unterbringung der dezentralen kantonalen Verwaltung oder allenfalls für Justizzwecke zu nutzen. Wir können uns deshalb mit den vorgeschlagenen Standorten der Aufgabenerfüllung dort nicht einverstanden erklären, wo die Erstellung oder die Zumietung neuer Flächen vorgesehen ist. Unseres Erachtens wird sich die Situation in den Verwaltungsregionen Mittelland und Seeland entspannen, wenn zwei zusätzliche Verwaltungskreise geschaffen werden. Damit sollten sowohl in Biel wie auch in Bern auf Neubauten verzichtet werden können. Im Mittelland ist das Schloss Laupen weiterzunutzen. Für uns ist z. B. nicht nachvollziehbar, warum das Verwaltungsgericht, das praktisch keinen Publikumsverkehr aufweist, an der bestgelegenen Adresse im Amthaus Bern domiziliert sein muss. Gleiches gilt für die Steuerrekurskommission. Wir verlangen, dass im Amthaus Bern einzig Verwaltungszweige mit einem relativ grossen Publikumsverkehr einquartiert werden. In der Verwaltungsregion Seeland könnten für das Betreibungs- und Konkursamt unserer Erachtens auch die Amthäuser Büren oder Aarberg weitergenutzt werden.

7. Die Formulierung in Art. 6 Abs. 2 lit. b ist anzupassen, wenn die Verwaltungsregion Seeland wie beantragt in zwei Verwaltungskreise aufgeteilt wird (Beschränkung der Zweisprachigkeit auf den Verwaltungskreis Biel und Agglomeration).

8. Zu den einzelnen Gesetzen:

a) Gesetz über die Regierungsstatthalterinnen und Regierungsstatthalter:
Zu Art. 4: Die Stellvertretungsregelung ist wie bisher in der Kompetenz des Regierungsrats zu belassen, was eine grössere Flexibilität ergibt. Wir gehen davon aus, dass in mehreren Verwaltungskreisen aufgrund ihrer Grösse mehr als ein Regierungsstatthalter tätig sein wird, was eine kreisinterne Vertretung erlaubt. Anderseits ist bei der Regelung der Stellvertretung über die Kreise hinaus der jeweiligen Arbeitsbelastung Rechnung zu tragen.
In Art. 9 des Gesetzes ist die Ombudsfunktion des Regierungsstatthalters deutli-cher zum Ausdruck zu bringen. Bei Art. 11 Abs. 2 des Gesetzes fragt sich, wer die bei Bedarf nötigen personellen und materiellen Mittel zur Verfügung stellen wird.
Art. 12, erster Satz, ist unbestimmt und \“Gummi\“. Was heisst \“Mitwirkung\“?

b) Im Organisationsgesetz, Art. 39 Abs. 3, sind für die Verwaltungsregion Mittelland sowie für die Verwaltungsregion Seeland je ein zusätzlicher Verwaltungskreis zu bilden (unsere Ausführungen weiter vorne). Art. 40 des Organisationsgesetzes ist anzupassen, wenn in der Verwaltungsregion Seeland ein zusätzlicher Verwaltungskreis gebildet wird. Die vorgeschlagene Formulierung hat unübersehbare Kostenfolgen (Übersetzungen). In dem uns zur Verfügung gestellten Exemplar des Vortrags fehlt im Anhang zum Organisationsgesetz die Aufstellung der Gemeinden im Verwaltungskreis Frutigen-Simmental (Seite 17).

c) Wir beantragen, Art. 37 des Gastgewerbegesetzes nicht zu ändern. Damit verbleibt der Regierungsstatthalter Aufsichtsbehörde der Gemeinden und der Kan-tonspolizei bei der Aufsicht über die Einhaltung des Gastgewerbegesetzes.

Im Übrigen weisen wir darauf hin, dass die uns gesetzte Vernehmlassungsfrist, was die vorgesehenen Gesetzesänderungen betrifft, zu kurz bemessen ist. Wir behalten uns deshalb vor, zu einem späteren Zeitpunkt noch weitere Bemerkungen zu den vorgesehenen Gesetzesänderungen anzubringen.

Bemerkungen zu den Punkten 8 bis 10 des Vortrages (Seiten 28 bis 41)

In den Kapiteln 8 bis 10 des Vortrags werden Ausführungen über den Personalbedarf und den Standort der Aufgabenerfüllung sowie die Kosten und Einsparungen der Reform gemacht.
Gleichzeitig wird auf Seite 41 ein Versuch einer Bilanz der Reform der dezentralen Verwaltung dargestellt. Leider müssen wir feststellen, dass es sich bei diesem Versuch aus folgenden Gründen um einen untauglichen Versuch handelt:
Wir müssen feststellen, dass die Berechnungen geschönt sind und auf sehr vielen Annahmen basieren.
– Die bei den Regierungsstatthalterämtern ausgewiesenen Aufgabenübertragungen an andere kantonale Stellen oder an Gemeinden ergeben keine wirklichen Einsparungen. Die übertragenen Aufgaben müssen auf der Zentralverwaltung und/oder auf den Gemeinden erledigt werden und führen dort unweigerlich zu neuen Stellenschaffungen.
– Das Projekt Info-Star bei den Zivilstandsämtern hat mit der Reform der dezentralen kantonalen Verwaltung rein gar nichts zu tun. Die sich aus diesem Projekt ergebenden Stelleneinsparungen dürfen nicht dem Projekt \“dezentrale Verwaltung\“ gutgeschrieben werden.
Bezüglich Einsparungspotential beim Personal wird damit von einem Stellenabbau ausgegangen, der nicht realistisch ist bzw. nicht in Zusammenhang mit der Reform steht.
– Die auf Seite 37 ausgewiesenen heutigen jährlichen Raumkosten der Devestitionsliegenschaften von Fr. 4’942’891.00 fallen nicht einfach weg, wenn diese Liegenschaften nicht mehr genutzt werden. Wir gehen davon aus, dass der Grossteil der gemäss Projekt nicht mehr benutzten Liegenschaften nicht sofort oder überhaupt nicht verkauft werden kann. Damit fällt auch ein Grossteil der heutigen Raumkosten unverändert weiterhin an. Die ausgewiesenen Kosteneinsparungen bezüglich Raumkosten sind damit illusorisch. Wir gehen auch davon aus, dass der für die zu verkaufenden Liegenschaften ausgewiesene Verkehrswert von insgesamt Fr. 43’710’000.00 absolut überrissen ist. Die Erfahrung, die der Kanton heute mit dem Verkauf der Pfarrhäuser macht, zeigen, dass das \“Abstossen\“ von erhaltenswerten oder schützenswerten Bauten nicht einfach ist und oftmals eine Handänderung praktisch nur durch Schenkung möglich ist. %uF0E0 Abdeckung mit einer Motion: Festgesetzter Marktpreis als Begeleit-massnahme.
– Die ausgewiesenen einmaligen Kosten für die Digitalisierung eines Teils der Grundbuchbelege sind viel zu tief. Wir gehen davon aus, dass der Betrag von Fr. 1’500’000.00 nur für einen ganz kleinen Teil der Grundbuchbelege reichen wird. Die älteren Grundbuchbelege sind in grossformatigen Büchern eingebunden und umfassen zusätzlich Pläne und andere Zeichnungen. Die Digitalisierung solcher Belege wird sehr kostenintensiv. Die als Erträge eingestellten Mehreinnahmen dank Digitalisierung der Grundbuchbelege von Fr. 500’000.00 pro Jahr sind unrealistisch. Zudem wehren wir uns mit Vehemenz dagegen, dass neue Gebühren eingeführt werden, die letztlich den Grundeigentümern belastet werden.
– Die Einsparungen durch die Reduktion der Anzahl EDV-Arbeitsplätze sind sehr hoch eingesetzt. Immerhin wird von EDV-Kosten pro Arbeitsplatz von Fr. 4’800.00 ausgegangen. Dieser Betrag scheint uns zu hoch. Damit ist auch der eingesetzte Betrag von Fr. 190’000.00 zu hoch.
Der positive Saldo, der sich aus dem Versuch einer Bilanz auf Seite 42 des Vortrags ergibt, ist unseres Erachtens viel zu hoch. Wir befürchten sogar, dass der Saldo, wenn die Bilanz richtig erstellt wird, negativ wird. Damit ist auch die Planungserklärung des Grossen Rates, wonach die Kosten der Reform ohne Baukosten innert 4 Jahren durch Einsparungen getilgt sein müssen, nicht erfüllt. Wir gehen zudem davon aus, dass auch die Bilanz der Justizreform negativ sein wird. Vorläufig sind auf jeden Fall nur die Kosten und keine Einsparungen ausgewiesen. Das Sparpotential, das der Regierungsrat für beide Reformvorhaben insgesamt vorgegeben hat, kann unseres Erachtens nicht erfüllt werden.
Wir fordern den Regierungsrat auf, die Reform der dezentralen Verwaltung auszusetzen, bis klar ist, welche Kosten und Einsparungen aus der Justizreform entstehen werden. Beide Reformen hängen zusammen und es wird von den Stimmbürgern und Steuerzahlern nicht verstanden, wenn aus dem Reformprojekt statt Minder- Mehrkosten entstehen würden.
Das Tempo, das vom Regierungsrat nun bezüglich Reform der dezentralen kantonalen Verwaltung angeschlagen wird, ist zu hoch und zu ehrgeizig. Alle Beteiligten werden durch die Zeitvorgaben des Regierungsrats unter Druck gesetzt und haben zuwenig Zeit, sich à fonds mit den Auswirkungen zu beschäftigen.

Zu den Fragen bezüglich Justizreform
1. Mit den vorgeschlagenen Änderungen der Kantonsverfassung sind wir einverstanden.
2.1 Wir sprechen uns klar für die Beibehaltung von Laienrichterinnen und Laienrichtern an den Kriminalgerichten aus. Wie sich aus dem Vortrag ergibt, sind auch die Kreisgerichtspräsidentinnen und Kreisgerichtspräsidenten für die Beibehaltung der Laienrichter. Sie arbeiten mit diesen Laienrichtern zusammen und haben offenbar gute Erfahrungen gemacht. Laienrichter zwingen die Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten, Urteilsbegründungen verständlicher zu formulieren. Sie verhindern auch, dass eine zu grosse Distanz zwischen Richtern und Bevölkerung entsteht.
2.2 Einverstanden.
2.3 Für die Vorbereitung der Richterwahlen bevorzugen wir das Modell 1. Die Wahlvorbereitung durch die Justizkommission und die anschliessende Wahl durch den Grossen Rat haben sich bewährt. Der Ausschuss 4 der Justizkommission macht seine Arbeit sehr sorgfältig. Der Einbezug der Fachorgane in die Entscheidfindung für die Wahlvorschläge ist institutionalisiert. Wir zweifeln im Übrigen daran, ob ein spezielles Wahlvorbereitungsgremium tatsächlich unabhängig sein kann und fragen uns, wie ein solches \“unabhängiges\“ Wahlvorbereitungsgremium überhaupt zusammengesetzt sein soll.

Wir hoffen, dass unsere Bemerkungen sowohl zur Reform der dezentralen Verwaltung als auch zur Justizreform in die weitere Bearbeitung der Geschäfte einfliessen werden und danken Ihnen für die Berücksichtigung unserer Anliegen bestens.

Mit freundlichen Grüssen
SVP – Kanton Bern
Der Präsident: Hermann Weyeneth, Nationalrat
Der Geschäftsführer: Christoph Neuhaus

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