SVP Sektion Müntschemier

Vernehmlassung

Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GSOG), Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, zur Strafprozessordnung und zur Jugendstrafprozessordnung (EG ZSJ), Gesetz über das Kantonale Strafrecht (KStrG); Justizre

31.03.2008

Mit Schreiben vom 21.12.2007 haben Sie uns die Vernehmlassungsunterlagen in rubrizierter Angelegenheit zur Stellungnahme unterbreitet. Wir bedanken uns für diese Möglichkeit und erlauben uns nachfolgend die Gedanken der SVP des Kantons Bern vorzulegen.

Unseres Erachtens bedarf die Beurteilung der Vernehmlassungsunterlagen eine Gesamtbetrachtung. Der komplexen und interdisziplinären Materie folgend, gliedern wir unsere Ausführungen vorab nach Sachfragen, gefolgt von Bemerkungen zu den einzelnen Erlassen.

1. Einleitung
1.1. Grundkonzeption und Ziele

Die gesamtschweizerische Vereinheitlichung des Zivil-, Straf- und Jugendstrafprozesses verlangt von einzelnen Kantonen mehr oder weniger tiefgreifende Anpassungen. Der Kanton Bern nimmt diese Vereinheitlichung zum Anlass zu einer grundlegenden Justizreform und einer Optimierung der Gerichtsbehörden. Mit der Einführung des Staatsanwaltschaftsmodells ist auch die Staatsanwaltschaft zu reorganisieren. Die Justizreform, der die Stimmberechtigten am 24. September 2006 zustimmten, bietet hiezu die verfassungsrechtliche Grundlage, wobei verfassungsrechtliche Bedenken zu einzelnen Punkten des Vernehmlassungsentwurfes noch zu erwähnen sind.

Die SVP unterstützt das Grundkonzept und die zu erreichenden Ziele, die in der nun vorliegenden gesetzgeberischen Umsetzung ihren Niederschlag finden.

Die Aufsicht auf den verschiedenen Ebenen
1.2. Grundsatz

Bei den unabhängigen und nur dem Recht verpflichteten Gerichten aller Stufen (Art. 3 GSOG), ist die Fachaufsicht durch das Rechtsmittelsystem garantiert. Die administrative Aufsicht regelt Art. 12 GSOG; sie erscheint nachvollziehbar, kohärent und folgerichtig.

1.3. Aufsicht über die Generalstaatsanwaltschaft

Art. 12 GSOG unterstellt die Generalstaatsanwaltschaft der Aufsicht des Grossen Rates, also – wie gemäss Art. 23 GRG schon heute – der Justizkommission. So logisch und klar das auf den ersten Blick erscheinen mag, ist es nicht. Aus Art. 78 KV geht diese Aufsicht jedenfalls nicht hervor. Die SVP geht davon aus, dass die vorberatende Kommission das – als die Kontroverse zu eskalieren drohte – von der Justizkommission am 3. März 1997 verlangte Gutachten zu dieser Frage konsultieren wird. Dieses 43 Seiten umfassende Gutachten wurde am 21. April 1997 von der heutigen Professorin Frau Dr. Regina Kiener erstellt und enthält gerade zu dieser Frage der Aufsicht über die Gerichte aber eben auch über die Generalprokuratur wertvolle Hinweise (vgl. Frau Prof. Regina Kiener, Kompetenzen der Justizkommission im Rahmen der parlamentarischen Justizaufsicht).

Seit Jahren ist die Aufsichtsfrage innerhalb der Staatsanwaltschaft kontrovers und wurde zwischen der Generalprokuratur und der Anklagekammer je nach Sach- und Ausgangslage unterschiedlich interpretiert. In diesem Zusammenhang wird auf den Bericht der Justizkommission des Grossen Rates von 5. August 1997 verwiesen.

Diese Aufsichtsfragen gaben im Kanton Bern schon vor 10 Jahren zu reden (vgl. Fall Krüger und die zahlreichen umstrittenen Folgediskussionen).

Man schob das Problem immer vor sich her und sprach stets davon, anlässlich einer späteren Revision müssen diese Fragen angegangen und definitiv geklärt werden. Vor ca. 6 Jahren, als mit der Vereinheitlichung des Bundesstrafprozesses gerechnet werden konnte, wurde die Beantwortung dieser Frage auf diese Revision hin vertagt.

Aus diesem Grund muss diese Frage im Rahmen dieser Reform geklärt und definitiv für alle Betroffenen verständlich geregelt werden.

Die SVP steht ein für den hierarchischen Aufbau der Staatsanwaltschaft, welche unter der Oberaufsicht des Grossen Rates steht. Mit dieser Organisation sollte ein effektives Arbeiten gewährleistet sein und durch die klar geregelten Weisungsbefugnisse sollten Verzögerungen bei Untersuchungen wirksam verhindert werden können. Die Oberaufsicht durch den Grossen Rat hat sich in langen Jahren bestens bewährt und ist zudem Garant für eine unabhängige Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft. Ein Wechsel der Aufsicht zum Regierungsrat wäre falsch gewesen, man denke etwa an die bernische Finanzaffäre. Zudem ist praktisch jede Handlung der Staatsanwaltschaft gemäss Bundesrecht auch eine rechtmittelfähige Verfügung, welche mit Beschwerde beim zuständigen Gericht angefochten werden kann.

Der Gesetzesentwurf sichert der Staatsanwaltschaft die Unabhängigkeit in der Rechtsprechung zu. Konsequent und richtig ist auch die Aufsichtsfrage geregelt. Nach heutigem Recht unterstehen die Staatsanwälte der Aufsicht des Obergerichts, die Untersuchungsrichter disziplinarisch der Anklagekammer und fallbezogen der Aufsicht des zuständigen Staatsanwalts. Der Generalprokurator untersteht der Oberaufsicht des Grossen Rates.

Neu bleibt die Oberaufsicht des Grossen Rates über den Generalprokurator. Die Staatsanwaltschaft ist im Unterschied zur Gerichtsbarkeit streng hierarchisch aufgebaut und folgerichtig unterstehen sowohl die Staatsanwälte, die leitenden Staatsanwälte wie auch die Stellvertreter des Generalstaatsanwalts einzig dessen Aufsicht.

Das interne Weisungsrecht widerspricht dem Unabhängigkeitsgedanken nicht. Die Bestimmung stellt klar, dass es um die Unabhängigkeit in der Rechtsanwendung geht. Dabei sind Eingriffe politischer Behörden in die konkrete Strafverfolgungstätigkeit der Staatsanwaltschaft unbedingt ausgeschlossen. Es geht dabei um die so genannte externe Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden schliesst Weisungsbefugnisse nicht aus. Solche Weisungen können dazu dienen, die administrative Aufsicht zu konkretisieren und speziell für die Staatsanwaltschaft, deren Primat im Vorverfahren sicherzustellen (Botschaft, S. 1129).

Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass eine Rechtsmittelaufsicht (Beschwerde) durch die Beschwerdekammer besteht (Art. 393 StPO). Alle Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft können mit Beschwerde angefochten werden. Mit der Beschwerde können gerügt werden: a. Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung, und Rechtsverzögerung; b. die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts; c. Unangemessenheit.

Die Staatsanwaltschaft hat auch eine richterlichähnliche Funktion. Sie wird künftig Freiheitsstrafen bis sechs Monate, Geldstrafen bis 180 Tagessätze und gemeinnützige Arbeit bis 720 Stunden aussprechen können. Künftig werden somit mehr als 90% der Strafurteile durch die Staatsanwaltschaft gefällt werden. Sie hat deshalb eine Doppelfunktion, die nicht vergleichbar ist mit der Bundesanwaltschaft. Es besteht deshalb keine Veranlassung, die Zuständigkeit für die Oberaufsicht bei der Staatsanwaltschaft anders zu lösen als bei den Gerichten.

Trotz Zustimmung zur vorgeschlagenen Lösung haben wir aber Bedenken, ob Art. 78 KV die nötige Verfassungsgrundlage bietet. Unseres Erachtens wird die ausschliessliche Aufsicht der Staatsanwaltschaft durch den Grossen Rat durch die erwähnte Bestimmung nur ungenügend abgedeckt. Nach Auffassung der SVP sollte eine Verfassungsanpassung geprüft werden. Eventualiter ist im Vortrag klar zum Ausdruck zu bringen, dass die Verfassungskonformität eingehend geprüft wurde und die vorgeschlagene Lösung von verfassungsrechtlicher Seite unbedenklich ist.

1.4. Aufsicht in Betreibungs- und Konkurssachen

Die SVP begrüsst das vorgeschlagene einstufige Modell im Aufsichtsverfahren in Betreibungs- und Konkurssachen; die erste Instanz wäre demzufolge das Betreibungs- und Konkursamt, die zweite das Obergericht. Die gewählte Lösung erscheint der SVP als richtig. Die Alternative wäre, diese Aufsicht zweistufig auszugestalten mit den vier regionalen Gerichten als erste und dem Obergericht als zweite Instanz. Dies führte zwar zu einer gewissen Entlastung des Obergerichts und dazu, dass das Obergericht nurmehr in einem weiteren Bereich als zweite Instanz zu betätigen hätte. Die einstufige Lösung, welche juristisch ebenfalls zulässig ist, hat jedoch den Vorteil, dass eine einheitliche Rechtssprechung im gesamten Kanton auf einer Stufe erreicht werden kann und dass zudem weniger Ressourcen gebunden werden, womit sich auch Vorteile im Kostenbereich ergeben.

1.5. Wahlen und deren Verfahren

Die Frage der Entpolitisierung der Richterwahlen wird hier nicht thematisiert, zumal bereits in der Botschaft zur Verfassungsänderung für die Justizreform festgehalten wurde, dass Richterinnen und Richter %u2013 auch die beizubehaltenden Laienrichter %u2013 vom Grossen Rat gewählt werden sollen.

Obschon die Untersuchungsrichterinnen und Untersuchungsrichter, welche nun zu Staatsanwältinnen und Staatsanwälten werden, bis heute vom Grossen Rat gewählt wurden, begrüsst die SVP die vorgeschlagene Regelung. Diese bedeutet, dass nicht mehr der Grosse Rat Wahlbehörde für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sein wird.

Weil diese Frage kontrovers sein dürfte, werden nachfolgend einige Argumente, die für eine Wahl ausserhalb des Grossen Rates sprechen, vorgetragen:

Die Staatsanwaltschaft leitet nach Einritt eines Ereignisses das Strafverfahren. Diese Leiterin oder dieser Leiter muss nicht nur über rechtliche und fachliche Kenntnisse verfügen, sondern über Einsicht in praktische Abläufe; sie muss Einfühlungsvermögen besitzen; sie muss auch, weil sie eng mit der Polizei und deren Dienststellen zusammenarbeitet, teamfähig sein und über Führungseigenschaften verfügen. Wichtig sind auch Entscheidungsfreudigkeit und eine speditive Arbeitsweise. Einige vom Grossen Rat gewählte Untersuchungsrichter offenbarten eine mangelnde Teamfähigkeit und fehlende Entscheidungsfähigkeit sowie mangelnde Speditivität, was bekanntlich zu grossen Verfahrensverzögerungen und Verfahrensverschleppungen führte.

Erfüllt eine Person das berufliche Anforderungsprofil, ist sie aber nicht Parteimitglied oder sogar nicht Mitglied in derjenigen Partei, die einen Sitz beansprucht, ist deren Wahl praktisch unmöglich und der Kanton verliert durch die Beschränkung auf parteigebundene Kandidaten ein grosses Potential an fähigen Leuten für die Strafverfolgungsbehörden. Das bedeutet, dass die optimalen Voraussetzungen für die Wahl einer guten Staatsanwältin oder eines guten Staatsanwaltes dann gewährleistet sind, wenn diese nicht dem auswahlbestimmenden parteipolitischen Proporzdenken ausgesetzt werden.

Kommt hinzu, dass selbst ohne Wahl der Staatsanwälte die Zahl der durch den Grossen Rat zu wählenden Amtsträger massiv zunimmt. Eine grobe Rechnung ergibt, im Vergleich zu heute, eine Zunahme von über hundert Personen, nämlich von ca. 206 auf ca. 330, dies insbesondere deshalb, weil der Grosse Rat, an Stelle des Volkes, nach der Revision die Richter und Laienrichter wählen wird.

Wer bzw. welches Gremium nun die Staatsanwälte an Stelle des Grossen Rates wählt, ist nach Auffassung der SVP nicht entscheidend. Festzustellen ist immerhin, dass die bisherige Wahlbehörde %u2013 das Obergericht %u2013 nach einem ausgedehnten und gründlichen Vor- und Wahlverfahren, eben ohne parteipolitische Scheuklappen, mit ganz kleinen Ausnahmen, gut bis sehr gut qualifizierte Personen in dieses Amt wählte. Dass in diesem Fall dem Generalstaatsanwalt ein Vorschlagsrecht zukommen muss, ist selbstverständlich.

Bezüglich der Wahlbehörde legen wir uns nicht fest, erlauben uns aber einen zusätzlichen Aspekt einzubringen, der unseres Erachtens die konsequenteste Lösung darstellen würde.

Aus unserer Sicht sollte die Eignung bei den Staatsanwälten (inkl. den leitenden) vor politisch motivierten Auswahlkriterien kommen. Anderseits hat gemäss die Generalstaatsanwaltschaft die Verantwortung für die Tätigkeit der Staatsanwälte. Aus unserer Sicht würde sich eine Lösung somit anbieten, bei der die Staatsanwälte nicht mehr der politisch motivierten Auswahl unterliegen. Gleichzeitig müsste der Generalstaatsanwaltschaft, im Falle ungenügender Leistungen der Staatsanwälte, die Möglichkeit einer raschen personellen Veränderung gegeben werden.

Die SVP würde ein System favorisieren, in dem die leitenden Staatsanwälte und die Staatsanwälte von der Generalstaatsanwaltschaft ausgewählt und in einem (öffentlichrechtlichen) Anstellungsverhältnis eingesetzt werden. Dieses System sieht keine Amtszeiten und auch keine Wahl im politischen Sinne mehr vor.

1.6. Amtseid bzw. Gelübde

Die SVP begrüsst die Einführung des Amtseids bzw. des Gelübdes auf gewissenhafte Pflichterfüllung für die vom Grossen Rat gewählten Mitglieder der Gerichtsbehörden. Doch sollte in jedem Fall die Wahlbehörde selber %u2013 also der Grosse Rat %u2013 diesen Akt durchführen und damit die ihm gebührende Bedeutung zukommen lassen. Die in Art. 20 Abs. 3 GSOG vorgesehene Delegation an die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion stuft diesen Akt in ungebührlicher Weise auf eine reine Verwaltungsangelegenheit herab; diese Bestimmung sollte darum gestrichen werden.

1.7. Personalressourcen

Bei der Personaldotation des Obergerichts ist für die SVP zurzeit nicht nachvollziehbar, weshalb hier mehr als 13 neue Stellen geschaffen werden sollen, nachdem das Wirtschaftsstrafgericht ausgegliedert wird. Hier ist entsprechender nachträglicher Begründungsbedarf gegeben, damit man sich mit allen Argumenten eingehend auseinandersetzen kann.

Ebenso ist für die SVP nicht nachvollziehbar, soweit die Ausführungen auf den Seiten 11 und 66 des Vortrages des Regierungsrats zum GSOG und zum EG ZSJ überhaupt verständlich und nicht teilweise widersprüchlich sind, weshalb für den Bereich der Strafjustiz in Zukunft ein höherer Personalbedarf entstehen soll. Einerseits wird die gesamte Organisation als professioneller und effizienter dargestellt und andererseits führt die neue eidgenössische Strafprozessordnung zu prozessualen Vereinfachungen. Neu gilt für die Voruntersuchung nicht mehr das Vieraugen- sondern bloss nurmehr das Zweiaugenprinzip und zahlreiche Fälle können dann neu in einem gegenüber der aktuellen Situation stark vereinfachten Verfahren beurteilt werden: neu wird der einfache schriftliche Strafbefehl bis zu Freiheitsstrafen von sechs Monaten ausgefällt werden können, heute ein Monat bzw. ab 01.04.08 drei Monate. Selbst wenn die Einspracherate gegenüber heute leicht ansteigen sollte, werden doch die erstinstanzlichen Gerichte mit einer Vielzahl von Verfahren entlastet. Ebenso werden die teureren Kollegialgerichte nurmehr ab zwei Jahren Freiheitsstrafe zuständig sein und nicht mehr ab der Grenze von einem Jahr wie heute.

Insoweit werden die finanziellen Auswirkungen der Reform neu überdacht werden müssen.

1.8. Geografische Anbindung der Behörden

Die verkehrstechnische Situation rund um die Stadt Bern ist seit Jahren immer wieder Ausgangspunkt verschiedener Diskussionen. Dabei versucht der Gemeinderat von Bern sukzessive die Anzahl der Motorfahrzeuge in der Stadt zu verringern. Die Methoden sind vielseitig und reichen von technischen Verkehrsbehinderungen bis hin zur Idee einer Einführung von Strassenzöllen (Road Pricing).

Mit der Justizreform werden der Bevölkerung in den Landregionen die Gerichtsbehörden örtlich entzogen. Die SVP hat diesem Vorhaben, mit gewisser Wehmut, aber im Sinne der Sache zugestimmt. Die Landbevölkerung ist auf eine Verwaltung angewiesen, die mit dem motorisierten Individualverkehr erreichbar ist. Es ist ihr auch nicht zuzumuten, dass sie zukünftig Strassenzoll auf dem Weg zum Gericht zu berappen hat. Aus unserer Sicht rechtfertigt sich eine Konzentration in Bern nicht mehr ohne weiteres.

Wir fordern daher, die geografische Anbindung der verschiedenen Behörden, insbesondere der Gerichte, dringend einer Überprüfung zu unterziehen. Dabei sind nach Möglichkeit Standorte ausserhalb der Stadt Bern zu suchen, beispielsweise Burgdorf oder Thun. Im Zusammenhang mit der Justizreform könnte dies bei folgenden Behörden der Fall sein:
  • Handelsgericht
  • leitende Jugendstaatsanwaltschaft
  • Kantonales Jugendgericht (kann einem Regionalgericht in Burgdorf oder Thun angegliedert werden)
  • Wirtschaftsstrafgericht
  • Steuerrekurskommission
Die Aufzählung ist nicht abschliessend.
 
1.9. Budgetprozess und Justizleitung

Der Vortrag des Regierungsrates sieht im Weiteren die Schaffung einer Justizleitung vor. Als Ausfluss der neu zu schaffenden institutionellen Unabhängigkeit erscheint dies der SVP als sachgerechtes Koordinationsorgan für das Obergericht, das Verwaltungsgericht und die Staatsanwaltschaft insbesondere auch zur Ausarbeitung eines Gesamtvorschlages und dessen Vertretung für den Grossen Rat. Die genaue Ausgestaltung wird allerdings noch zu über­prüfen sein; es stellt sich insbesondere die Frage, ob nicht allenfalls alle drei Instanzen je einen separaten Voranschlag vertreten sollen oder allenfalls die Staatsanwaltschaft aus dem Koordinationsorgan auszugliedern wäre. Die SVP neigt zurzeit zur Unterstützung des regierungsrätlichen Vorschlages.

Der Grundsatz der Selbstverwaltung und das autonome Budgetantragsrecht sind zentrale Elemente der institutionellen Unabhängigkeit. Soll diese Unabhängigkeit vollumfänglich gewahrt werden, ist es unabdingbar, dass die Justiz als Gesamtheit dem Grossen Rat gegenübertritt, andernfalls besteht die Gefahr, dass nach Grundsatz %u201Eteile und herrsche%u201C entsprechend, Obergericht, Verwaltungsgericht und Staatsanwaltschaft gegeneinander ausgespielt werden können.

Die SVP befürwortet die organisatorische Verselbständigung der rechtsprechenden Gewalt und die Koordination der Budgetprozesse zwischen den beiden obersten Gerichten und der Generalstaatsanwaltschaft. Es erscheint uns auch sachgerecht, hierzu ein Kontakt- bzw. Koordinationsgremium vorzusehen, dem die Zusammenfassung der je für sich erstellten Voranschläge zu einem Gesamtvoranschlag und die Vertretung desselben vor dem Grossen Rat umfasst.

Wie bereits bei der Aufsichtsfrage über die Staatsanwaltschaft erlauben wir uns auch hier, die Frage der Verfassungskonformität der vorgeschlagenen Lösung aufzuwerfen.

Artikel 97-100 KV (Überschrift: \“Gerichte\“) unterscheiden klar zwischen den Zivil- und Strafgerichten (mit dem Obergericht) und der obersten Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton, für die ein Verwaltungsgericht eingesetzt wird. Eine gemeinsame Leitung der beiden obersten Gerichte sieht die Verfassung demgegenüber nicht vor. Die Einführung eines \“Conseil supérieur de la magistrature\“ nach französischem Vorbild, der als oberstes kantonales Justizorgan für beide Gerichte verbindlich und endgültig über alle wesentlichen Fragen entscheidet und dem gegenüber dem Parlament ein eigenständiges Antragsrecht zukommt, ist darum auf der Grundlage der geltenden Verfassung zweifelhaft. Aus diesen Überlegungen erscheint der SVP eine Justizleitung mit umfassenden Kompetenzen als verfassungsrechtlich problematisch.

Wir ersuchen den Regierungsrat dringend, im Vortrag klar zum Ausdruck zu bringen, dass die Verfassungskonformität eingehend geprüft wurde und die vorgeschlagene Lösung von verfassungsrechtlicher Seite unbedenklich ist.

2. Zum Zivilprozess und zur Organisation der Zivilgerichte

(Art. 1 bis 18 des EG ZSJ sowie 81 bis 84 GSOG)

Die Einführungsgesetzgebung zur neuen eidgenössischen Zivilprozessordnung ist weitgehend eine technische Materie und erscheint der SVP grundsätzlich als tauglicher Lösungsvorschlag.

Im Einzelnen sind die folgenden Punkte festzuhalten:

2.1. Art. 6 EG ZSJ

Die SVP begrüsst die Beibehaltung eines Kantonalen Handelsgerichts, welches als einzige kantonale Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist. Die Handelsgerichtsbarkeit spielt in den vier grossen Kantonen des Mittellandes St. Gallen, Zürich, Aargau und Bern eine wichtige Rolle und hat sich namentlich in Bern bestens bewährt. Das Zusammenwirken zwischen Berufsrichtern und fachkundigen Laienhandelsrichtern aus den jeweils vom Streit betroffenen Sparten wird seitens der beteiligten Parteien entsprechend geschätzt.

2.2. Art. 8 EG ZSJ und Art. 81 bis 84 GSOG

Die Schaffung einer separaten, von den Gerichten abgetrennten, regionalen Schlichtungsstelle, welche alle Schlichtungsverfahren, den klassischen Aussöhnungsversuch, die mietrechtlichen Streitigkeiten, die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, die Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz und die Streitigkeiten im Zusammenhang mit Diskriminierungen im Erwerbsleben durchführt, scheint unter den Aspekten einer klaren und effizienten Gliederung sowie einer professionellen Ausgestaltung sinnvoll, wenn auch durch die Kantonalisierung gegenüber heute gewisse Mehrkosten in Kauf genommen werden müssen.

2.3. Beisitzer in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten

Bei den arbeitsrechtlichen Streitigkeiten bestände in der Schlichtungsphase die Möglichkeit, wie dies zum Beispiel bundesrechtlich für die mietrechtlichen Verfahren vorgeschrieben ist, noch Beisitzer/innen von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite vorzusehen, worauf aber aus unserer Sicht verzichtet werden kann; die damit verbundenen zusätzlichen Kosten ergäben kaum einen qualitativen Mehrwert.

3. Zum GOSG

Durch die Vereinheitlichung der beiden Prozessordnungen auf Bundesebene ist der Spielraum für die Ausgestaltung der Behörden, namentlich im strafrechtlichen Teil mit der Einführung des Staatsanwaltschaftsmodells, eher beschränkt.

3.1. Reduktion der Gerichtskreise

Die SVP steht insbesondere hinter der Reduktion der Gerichtskreise und der Schaffung von insgesamt nurmehr vier Gerichtsregionen, was der Einheitlichkeit der Rechtssprechung dient, mehr Professionalität und mehr Effizienz verspricht, sowie durch die richtige Grösse der Einheiten kurzfristige Über- und Unterkapazitäten vermeiden hilft.

3.2. Laienrichter

Wir machen darauf aufmerksam, dass in der zukünftigen Ausrichtung dieser Teile der Spruchbehörde kein eigentliches Laienelement mehr zu finden ist. Durch die Konzentration der Kräfte und die ständig laufende Weiterbildung werden diese \“Laienrichter\“ quasi zu halbprofessionellen Mitgliedern der Kollegialgerichte. Eine streng konsequente Justizreform würde auf die Beibehaltung der Laienrichter verzichten.

Im Sinne eines politischen Kompromisses unterstützen wir aber den Beibehalt des Laienrichterelementes bei den regionalen Kollegialgerichten für schwerwiegendere Fälle in der vorgeschlagenen Form (Art. 79 Abs. 5 GSOG, vgl. auch Art. 53 und 54 EG ZSJ).

3.3. Institutionelle Unabhängigkeit der Gerichtsbehörden

Wir stehen auch dahinter, die Gerichtsbehörden (in weiterer Realisierung von Art. 97 KV) und die Staatsanwaltschaft institutionell unabhängig zu gestalten, sodass sie die zugewiesenen finanziellen Mittel selbständig verwalten (mit eigenem Aufgaben- und Finanzplan sowie Voranschlag), Personal anstellen und die erforderlichen Mittel und Dienstleistungen zur Aufgabenerfüllung selbständig einsetzen können. Damit ergibt sich auch ein ökonomischer Einsatz der knappen finanziellen Mittel des Kantons.

Mit dieser neuen Ausgestaltung der Gerichte und der Staatsanwaltschaft ist auch die angestrebte neue Organisationsstruktur mit entsprechenden Führungsinstrumenten angezeigt.

3.4. Staatsanwaltschaft

Die eidg. Strafprozessordnung zwingt den Kanton Bern zu umfassender Reform der Organisation seiner Strafverfolgungsbehörden. Die Trennung zwischen Untersuchungsrichter und Staatsanwalt fällt weg, das bisherige Vier-Augen-Prinzip wird zu Gunsten der Umsetzung des Effizienzgedankens weitgehend verdrängt und auch die Aufsicht wird neu geregelt. Die SVP begrüsst diese Entwicklung und unterstützt grundsätzlich den Gesetzesentwurf.

3.5. Kontrollmöglichkeiten der Plena

Der SVP fällt bei der Verteilung der Kompetenzen zwischen Geschäftsleitung und Plenum am Obergericht (Art. 35ff GSOG) und am Verwaltungsgericht (Art. 48ff GSOG) auf, dass zwar die jeweiligen Plena den Voranschlag genehmigen, nicht aber den Aufgaben- und Finanzplan der beiden Gerichte. Hier müsste unserer Meinung nach eine letzte Kontrollmöglichkeit durch die Plena ebenfalls gegeben sein. Es macht auch nur beschränkt Sinn, wenn sich die Plena zwar zum jährlichen Voranschlag, nicht aber zum mehrjährigen Finanzplan äussern können, denn ist der Finanzplan einmal fix, erhält der Voranschlag bereits weniger Spielraum bzw. ist eine grundsätzliche Stossrichtung vorgegeben.

3.6. Ausgliederung des Wirtschaftsstrafgerichtes

Die Ausgliederung des Wirtschaftsstrafgerichtes aus dem Obergericht (Art. 60ff GSOG) wird seitens der SVP unterstützt.

3.7. Leiter Ressourcen

Für die SVP noch eingehender zu prüfen ist, ob bei der Geschäftsleitung des Obergerichts noch die zusätzliche Stelle einer Leitung Ressourcen (Art. 39 GSOG) mit Stellvertretung geschaffen werden muss, welche beim Verwaltungsgericht nicht vorgesehen ist. Das Generalsekretariat, welches offenbar neu (ehemals Obergerichtsschreiber) von eigentlicher Fallbearbeitung entbunden scheint, dürfte die entsprechenden Reserven noch aufweisen. Es ist darauf zu achten, dass die Verwaltung der Gerichte schlank bleibt. Andererseits fällt in diesem Zusammenhang auf, dass es die Funktion des Justizinspektors nicht mehr gibt. Diese war bislang als unverzichtbar betrachtet worden, absolut unbestritten und der Inspektor hat über Jahrzehnte wichtige Funktionen erfüllt, indem er den ordnungsgemässen Gang der erstinstanzlichen Justiz, an Ort und Stelle und somit an der Front, prüfen konnte. Diese Funktion gehört viel eher in die Geschäftsleitung als eine Leitung Ressourcen; gegen eine allfällige Umbenennung in Aufsicht und Controlling wäre sicher nichts einzuwenden.

3.8. Familienfachgericht

Richtig erscheint aus der Sicht der SVP, dass die Vorlage nicht die Schaffung eigentlicher Familienfachgerichte vorsieht. Dies wäre organisatorisch kompliziert, kostete wesentlich mehr und der Mehrwert gegenüber den bereits professionell besetzten Gerichten ist nicht auszumachen.

3.9. Art. 23 Abs. 2: Gerichtsschreiber

Im Mitbericht fehlte dieser Absatz, da in der Gesamtkommission nicht gewollt. Nun wurde er wieder aufgenommen. Dies führt zum Ergebnis, dass beim Einzelgericht und beim Kreisgericht immer ein/e Gerichtsschreiber/in dabei sein muss und die nichtjuristischen Sekretäre wieder ausgeschlossen werden. Im Vergleich zur geltenden Ordnung wäre dies ein Rückschritt, auch im Vergleich zu den eidg. Prozessordnungen, die eine derartige Einschränkung auf Juristen nicht vorsehen. Und schliesslich führt diese Lösung auch zu einer finanziellen Mehrbelastung! Hier wäre es eher angebracht, zwischen ausgebildeter nichtjuristischer Person (vgl. Staatsanwaltschaft) und Kanzlei zu unterscheiden, und erstere ebenfalls zur Protokollführung zuzulassen.

4. Zum Einführungsgesetz Strafprozessordnung (Art. 19 bis 77 EG ZSJ)

Soweit den Strafprozess betreffend, ist der für den Kanton verbleibende Regelungsspielraum beschränkt und beschlägt kaum Bestimmungen mit politischem Inhalt, sondern wird klar von rechtstechnischen Fragen dominiert.

Die gewählte Ergänzung (Art. 27 EG ZSJ) zu den Mitteilungsrechten und %u2013pflichten gemäss bundesrechtlicher Regelung erscheint sinnvoll und sollte den Bedürfnissen Rechnung tragen, dass sich Vorfälle wie letzthin in Zürich, Stichworte Taximord und Mord in Pöschwies, bei vernünftiger Handhabung durch die sich mit dem Einzelfall befassenden Personen vermeiden lassen.

Die neu geregelten Zuständigkeiten für Zwangsmassnahmen (Art. 35ff EG ZSJ) finden die Unterstützung der SVP; es kann eine sinnvolle Verteilung zwischen regionalen Zwangsmassnahmegerichten und dem kantonalen Zwangsmassnahmegericht festgestellt werden.

4.1. Art. 34 Abs. 2 EG ZSJ:

Eher komisch berührt, dass irgendwelche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Gerichte Vorladungen, wenn auch in entsprechendem Auftrag, verfassen und zusenden können (Art. 34 Abs. 2 EG ZSJ). Wenn schon eine Bürgerin/ein Bürger vom Staat zum Erscheinen gezwungen wird und dabei bei Nichtbefolgen eine zwangsweise Zuführung riskiert, sollte er auch die vom zuständigen Richter bzw. Staatsanwalt unterzeichnete Vorladung vorfinden. Eine derartige, zwangsbewehrte, Massnahme ist zumindest aus der Sicht des Bürgers eben gerade kein Massengeschäft, sodass diese geringfügige Mehrbelastung der verfügenden Personen ohne weiteres in Kauf genommen werden sollte.

Trotz unseren Bedenken können wir uns aber vorstellen, mit der vorgeschlagenen Lösung einverstanden zu sein, sofern diese zu merklichen Einsparungen und Effizienzsteigerungen führen würde. Wir bitten den Regierungsrat, die Einsparungen im eigentlichen Vortrag noch genauer und aussagekräftiger herauszuschälen und zu beziffern.

4.2. Anzeigepflicht

Die Regelung der Anzeigepflicht für die Behörden und Angestellten des Kantons (und der Gemeinden) ausserhalb der eigentlichen Strafbehörden erscheint sinnvoll (Art. 45 EG ZSJ), werden diese Stellen doch verpflichtet, im Zusammenhang mit Verbrechen der Staatsanwaltschaft entsprechende Mitteilungen zu machen; man könnte sich fragen, ob man diese Pflicht nicht auch im Zusammenhang mit Vergehen (z.B. sexuelle Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 StGB), sexuelle Handlungen mit Anstaltspfleglingen, Gefangenen, Beschuldigten (Art. 192 StGB), Ausnützen einer Notlage (Art. 193 StGB) vorsehen sollte.

Die Aufteilung der Kollegialgerichte in Sprüchkörper mit zwei bzw. vier Laienrichterinnen und -richtern erlaubt flexible Lösungen in Berücksichtigung der Schwere des Einzelfalles (Art. 53 und 54 EG ZSJ).

Die SVP unterstützt, dass der Kanton von der Befugnis in Art. 156 EstPO Gebrauch gemacht hat und die Schutzmassnahmen für gefährdete Zeugen, Übersetzer etc. auch ausserhalb des laufenden Strafverfahrens ermöglicht (Art. 32 EG ZSJ). Damit dürfte auch die Aussagewilligkeit von Belastungszeugen gefördert und damit die Verfolgung von Straftaten erleichtert werden.

4.3. Art. 51 EG ZSJ (Genehmigung von Einstellungs-, Nichtanhandnahme- und Sistierungsverfügungen [322, 310, 314 & 319 StPO])

Der Entwurf sieht vor, dass abgesehen von den in Abs. 3 erwähnten Ausnahmen sämtliche Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwälte der Genehmigung durch die Leitung der regionalen oder der kantonalen Staatsanwaltschaft bedürfen. Dies führt dazu, dass auch sämtliche Teileinstellungen zustimmungsbedürftig sind. Dies macht aber keinen Sinn bei gleichzeitiger Anklageerhebung vor Gericht. In sehr vielen Fällen, in denen Anklage erhoben wird, kommt es zu Einstellungsentscheiden, weil bei Übertretungen (bspw. Drogenkonsum, Widerhandlungen gegen das Transportgesetz, SVG-Widerhandlungen) die Verjährung eingetreten ist oder aus Gründen der Opportunität auf die Anklageerhebung verzichtet wird. Wird in diesen Fällen an der Zustimmung des leitenden Staatsanwalts festgehalten, führt dies zu unnötiger Ressourcenbindung.

Das Gleiche gilt auch bei den Einstellungen nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl. Hält man an der Zustimmung des leitenden Staatsanwalts fest, wird in diesem Bereich das Sechs-Augen-Prinzip eingeführt.

4.4. Jugendanwaltschaftsmodell contra Jugendgericht

Die SVP setzt sich entschieden für das Jugendanwaltsmodell ein. Gestützt auf die Erfahrungen und die vertiefte Auseinandersetzung mit der Materie kommen wir zum Schluss, dass der Kanton Bern die Chance nutzen sollte, das alte Jugendrichtermodell zugunsten einer zeitgemässen Jugendrechtspflege aufzugeben.

Das Jugendanwaltsmodell wird im Vergleich zur heutigen Lösung zwei wesentliche Änderungen bringen:
  • Die Jugendanwälte müssen die von ihnen vorgesehenen Strafen von mehr als 3 Monaten Freiheitsentzug und Fremdplatzierungen einem unabhängigen, kantonalen Jugendgericht unterbreiten, statt, wie bisher, den Fall mit ihrer Dreierkammer gleich selber zu beurteilen.
  • Aus den bisherigen Jugendgerichten und der Jugendstaatsanwaltschaft entsteht eine einzige, geführte Jugendanwaltschaft, die erstmals imstande sein wird, die unterschiedlichen und innerhalb des Kantons stark voneinander abweichenden Vorstellungen von Erziehung und staatlichen Eingriffen in die Familien zu vereinheitlichen, transparent und einer Kontrolle zugänglich zu machen.

Gemäss heutigem Recht ist die Jugendgerichtspräsidentin/der Jugendgerichtspräsident sowohl Strafverfolgungs-, urteilende Gerichts- wie auch Vollzugsbehörde in Personalunion. Eine solche Ämterkumulation ist zumindest in der Erwachsenenjustiz menschenrechtswidrig. Vor 14 Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein solches System bei den Jugendlichen gerade noch als zulässig erklärt. Es ist aber denkbar, dass eine solche Machtkumulation künftig nicht mehr akzeptiert wird. Die Problematik hat sich insofern noch akzentuiert. Das vor einem Jahr eingeführt Jugendstrafrecht hat den Strafrahmen von einem auf vier Jahre erhöht und die Kumulation von Strafen mit Massnahme zwingend eingeführt.

Gegen die Doppelfunktion der Jugendrichterin/des Jugendrichters spricht aber auch die gesetzlich nicht vorgesehene Haftprüfung in der Jugendstrafverfolgung. Die Jugendrichter/innen verhaften in eigener Kompetenz und müssen den Haftgrund erst nach 7 Tagen durch das Zwangsmassnahmengericht überprüfen lassen.

Gegen die bisher praktizierte Ämterkumulation spricht auch der Wissensvorsprung der Jugendrichter/innen gegen über den Laien in der Hauptverhandlung. Wer den Fall selber untersucht hat, verfügt über einen Kenntnisstand des Verfahrens, der auch mit sorgfältigem Aktenstudium nicht wettzumachen ist. Dies führt zu einem fallbezogenen und fachlichen Informationsvorsprung der Präsident/innen.

Schliesslich führt auch das Zusammenspiel von Jugendstaatsanwaltschaft und Jugendrichter/innen nach dem Jugendrichtermodell zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Die Einflussnahme der Jugendstaatsanwaltschaft auf die Untersuchungen der Jugendrichter/innen im Sinne der heutigen bernischen Ordnung (z.B. Teilnahme an Untersuchungshandlungen oder Weisungsrecht) wird abgeschafft. Dafür erfolgt am Ende der Untersuchung eine Handänderung an die Jugendstaatsanwaltschaft, welche nun die Anklage vor demselben Jugendrichter vertritt, der bereits die Untersuchung geführt hat. Die Jugendstaatsanwaltschaft muss also die von den Jugendrichtern geführte Untersuchung mitsamt den von diesen erarbeiteten Lösungen übernehmen und vor ihnen vertreten.

Für die Neuordnung der Jugendstrafrechtspflege spricht, dass die heutigen regionalen Jugendgerichte nicht ausgelastet sind. Mit der künftigen Zurückdrängung der gerichtlichen Beurteilung zu Gunsten des Strafbefehlsverfahrens wird die Anzahl der durchzuführenden Verhandlungen abnehmen. Die Einführung eines einzigen kantonalen Jugendgerichts, das in den Regionen tagt, ist deshalb nicht nur sinnvoll, sondern eine solche Lösung drängt sich auch aus finanziellen Überlegungen auf.

Und letztlich kann mit der Einführung des Jugendanwaltsmodells die Aufsichtsfrage befriedigend gelöst werden. Der Generalstaatsanwalt ist Aufsichtsbehörde für die Jugendstaatsanwälte und somit wie im Erwachsenenrecht für den Bereich der Strafverfolgung zuständig, das Obergericht beaufsichtigt das Jugendgericht. Beim Jugendrichtermodell bleibt es bei der heute bestehenden Zwitterstellung des Obergerichts bestehen (Aufsicht sowohl für Strafverfolgung wie auch über die urteilenden Gerichte).

5. Gesetz über das Kantonale Strafrecht (KStrG)
5.1. Grundsatz und Terminologie

Der Entwurf zum Gesetz über das kantonale Strafrecht (KStrG) ersetzt das EG StGB vom 6. Oktober 1940. Diesem Ersatz, samt den neu formulierten Artikeln, ist zuzustimmen. Immerhin folgende Feststellung: Erstmals wird für \“Straf%u2026\“ die Abkürzung \“Str\“ %u2013 also \“KStrG* %u2013 verwendet, im Gesetz selber wiederum z. Bsp. StGB aufgeführt. Will man mit %u201EKStrG%u201C vom Steuergesetz abgrenzen?

5.2. Strafnorm zum Schutze vor den Folgen unbewilligter Demonstrationen

Der Grosse Rat hat in der Januarsession die Motion von Grossrat Künzli, Ittigen \“Chaoten frühzeitig in den Griff nehmen\“ als Postulat überwiesen. Der Regierungsrat unterstützte die Motion als Postulat mit folgender Bemerkung:

\“Im Rahmen der Anpassung der kantonalen Zivilprozess,- Strafprozess- und Jugendstrafprozessordnung ist die Überführung des Gesetzes von 6. Oktober 1940%u2026%u2026..in ein Gesetz über das kantonale Strafrecht vorgesehen. Die Einführung neuer Übertretungsstraftatbestände im Zusammenhang unbewilligter Demonstrationen könnte allenfalls im neuen Gesetz über das kantonale Strafrecht vollzogen werden%u2026%u2026.\“

Die SVP fordert dringend die Einführung eines solchen neuen Straftatbestandes!

5.3. Strafnorm zum Schutze Minderjähriger

Die Diskussionen in verschiedenen Städten über Sperrzeiten für Jugendliche im öffentlichen Raum nimmt die SVP ernst. Es ist im Zusammenhang mit der vorliegenden Gesetzesrevision unserer Ansicht nach zu prüfen, ob ein Kantonales Ausgehverbot für Jugendliche unter 16 Jahren ab einer bestimmten Abendzeit Sinn machen würde.

Schlussbemerkungen

Diese Ausführungen verstehen sich ohne präjudizielle Wirkung für die zukünftige parlamentarische Behandlung. Wir danken für die Berücksichtigung unserer Anliegen und behalten uns ausdrücklich das Recht vor, weitere Anträge zu stellen.

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